Die Illusion des perfekten Moments: Warum Warten bei der Nachfolge gefährlich ist.
Viele Schweizer Familienunternehmen stehen vor einem Generationenwechsel, doch nicht wenige schieben zentrale Entscheide immer weiter hinaus. Mit Verweis auf die unsichere Weltlage wird die Stabübergabe vertagt. Doch oft tarnt sich die Angst vor dem Loslassen nur als wirtschaftliche Vorsicht. Wer auf den perfekten Moment wartet, setzt sein Lebenswerk aufs Spiel.
«Die Zeiten sind zu unsicher, es ist nicht der richtige Moment». Diesen Satz hören Mitglieder von Unternehmerfamilien derzeit öfter. Konjunkturschwankungen, Energiepreise oder geopolitische Spannungen: Gründe für das Zögern finden sich immer. Doch diese Logik ist trügerisch. Denn gerade in volatilen Phasen sind klare Verhältnisse überlebenswichtig. Ein Unternehmen mit einem älter werdenden Patron und einer wartenden Nachfolgegeneration im Ungewissen ist nicht krisenfest, sondern gelähmt.
Führung braucht Zeit, Kapital braucht Struktur
In Familienunternehmen verlaufen zwei Nachfolgen parallel, aber nicht identisch. Wir müssen die operative Führung und das Kapital strikt voneinander entflechten.
Die Führungsnachfolge duldet keinen Aufschub. Wer das Tagesgeschäft leitet, strategische Weichen stellt und das Team führt, muss nicht zwingend sofort alle Aktien besitzen. Hier gilt ein Planungshorizont von fünf bis zehn Jahren. Führungskompetenz lässt sich nicht vererben, sie muss erarbeitet werden.
Die Kapitalnachfolge hingegen folgt einem anderen Takt. Hier geht es um Vermögen, Stimmrechte und die finanzielle Absicherung der abtretenden Generation. Dieser Prozess ist komplexer, steuerlich heikler und erfordert oft deutlich mehr Zeit. Werden beide Ebenen vermischt (nach dem Motto «Wer führt, muss alles besitzen» ), entstehen unnötige finanzielle Klumpenrisiken und emotionale Blockaden.
Die Demografie nimmt dabei keine Rücksicht auf Konjunkturzyklen. Die Babyboomer treten ab. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Führung: Digitalisierung und internationale Märkte verlangen oft nach dem Skillset der Jungen. Wenn in dieser Gemengelage unklare Rollen auf fehlende Entscheidungsregeln treffen, wird das Familienunternehmen verwundbar.
Governance statt Hoffen auf den Aufschwung
Was hilft gegen die Unsicherheit? Keine besseren Wirtschaftsdaten, sondern bessere Governance. Eine Familienverfassung und ein funktionierender Familienrat entlasten die Beteiligten und schaffen Transparenz. Statt auf den Aufschwung zu warten, sollten Unternehmerfamilien ihre Strukturen schaffen:
- Trennen Sie Amt und Eigentum: Planen Sie die operative Übergabe unabhängig vom Aktienübertrag.
- Schaffen Sie Gremien: Ein starker, extern besetzter Verwaltungsrat ist das beste Korrektiv in stürmischen Zeiten. Er entlastet emotional und professionalisiert die Entscheidung. Ebenso kann ein Familienrat dazu beitragen, die Rollenklärung innerhalb der Unternehmerfamilie festzuhalten und Konflikte zu vermeiden.
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Klären Sie die Rolle des Seniors: Nichts ist gefährlicher als ein Senior, der als «Berater» herumgeistert, aber heimlich Regie führt. Die Rolle nach dem Austritt muss glasklar definiert sein – oder sie entfällt ganz.
Nachfolge ist kein Ereignis, sondern ein mehrjähriger Prozess. Der erste Schritt: eine ehrliche Standortbestimmung zu Unternehmens- und Familienzielen. Danach folgen parallele Planungsstränge: Führungsoptionen klären (intern oder extern), Kapitalstruktur gestalten (etappierte Übertragung, Finanzierung, Steuern) und Governance-Regeln definieren. Ein verbindlicher Notfallplan gehört dazu. Nur so bleibt das Unternehmen auch in kritischen Momenten handlungsfähig.
Fazit: Unsicherheit verschwindet nicht, sie gehört zum Unternehmeralltag. Ein solider Nachfolgeplan ist die beste Antwort darauf. Wer Führung und Eigentum gedanklich trennt und den Prozess heute startet, schafft Stabilität. Warten ist keine Strategie, sondern ein Risiko.
Artikel von Dr. Stefan Schneider, Partner bei der Continuum